Cantina Fontursia - etwas anders als normal

Cantina Fontursia

Etwas anders als normal

Auch auf dem Sektor der Weinproduktion gilt, was bei Lebensmitteln normal ist: es wird das hergestellt, was angesagt und geschmacklich käufernah ist. Das erhöht die Verkaufszahlen aber auch den Wettlauf mit den anderen Herstellern.

Ein Bio-Weingut, das sich aus diesem Wettlauf schon vor einigen Jahren ausgeklinkt hat, ist die Cantina Fontursia bei Ripatransone in der marchigianischen Provinz von Ascoli Piceno.
In der Tat ist es sehr überraschend, dass fünf der acht verschiedenen Weine zu 100 % aus einer einzigen Traube gekeltert sind. Das bedeutet, dass der Wein “in purezza”, wie es im Italienischen heißt, nicht durch andere Trauben den Geschmacksnerven angepasst wird, sondern durch die Reinheit einer einzigen Traube besticht. Somit bedeutet das in der Konsequenz, dass jede Traube ihren Charakter unverfälscht hinterlässt. Es spiegelt dies auch nicht nur die “Persönlichkeit” der Traube wider sondern auch des Anbaugebiets.

Überraschend auch, dass auf diesem Weingut sich eine Traube findet, von der, zumindest ich, nicht wusste, dass sie existiert, die Fragola, was Erdbeere bedeutet. Sie wird nur von Gianmarco, dem Besitzer für den Hausgebrauch verwendet und der Wein wird nur auf direkte Nachfrage verkauft. Überhaupt hat Gianmarco sehr kreative Ideen und Besonderheiten bei der Weinproduktion entwickelt.
Neben der Fragola-Traube experimentiert er auch mit einer ebenso recht unbekannten Traube, der Garofagnata. Es wird sicher noch Zeit in Anspruch nehmen, bis auch diese Traubensorte dann als Wein auf den Markt kommt. Wir dürfen gespannt sein.

Mein Besuch auf diesem Weingut hat noch mehr Überraschendes hervorgebracht. Normalerweise werden Weine zur Fermentierung zunächst in Edelstahltanks gelagert. Gianmarco jedoch hat ein anderes System, nämlich Fässer aus innen glasiertem Zement. Dort lagert der Wein zum Fermentieren zunächst zwischen 6 Monaten bis zu 2 Jahren, je nachdem welches das Endprodukt werden soll. Der Crivellino Rosso Piceno Riserva beispielsweise, nennen wir ihn einfach den Rolls Royce unter den Weinen von Fontursia, abgesehen natürlich vom Passito, was dem deutschen Eiswein etwa gleichkommt, kommt im nächsten Schritt zur weiteren Reifung in Eichenfässer und dann in die Flaschen.

Fontursia baut auf 8 Hektar Wein an, umgelegt auf Flaschen werden hier ca. 50.000 Flaschen pro Jahr erzeugt. Dabei ist es anteilig etwa 50 zu 50 zwischen Weiß – und Rotweinen. Die hier angebauten Weinstöcke tragen die typischen Reben der südlichen Marche (Deutsch die Marken), die autochthonen Pecorinotrauben und die Passerina, sowie Montepulciano und Sangiovese. Für den Roten ist der Anteil 60 % Montepulciano und 40 % Sangiovese, was den Vorgaben für einen DOC-Wein entspricht. Die Weißen sind aus einer einzigen Traubensorte. Die Passerina ist eine Traube, die geschmacklich sehr viele Liebhaber hat, denn sie ist leicht und fruchtig, die Pecorinotraube dagegen ist ein anderes Kaliber. Ausdrucksstark und charaktervoll – eigentlich lässt es sich in kurzen Worten sagen: entweder man liebt diese Traube oder man mag sie überhaupt nicht, einen Mittelweg gibt es dabei nicht.

Wie viele der Weingüter in der Region Marche hat auch Fontursia schon eine lange Tradition. Es war der Vater des jetzigen Besitzers, der 1955 die Cantina ins Leben rief. Da jeder Name nicht nur per Zufall entsteht, wurde das Weingut nach einer Quelle benannt (fonte = Quelle), die von den den antiken Tusci als heilsame Wunderquelle benutzt wurde.
Auch die Flaschenetiketten sind verknüpft mit der ascolanischen Geschichte und den Farben des Piceno. Drei davon reflektieren diese Wucht der Farben, die jeden trifft, der in diesen Teil der Marche kommt. Die anderen Etiketten zeigen Details von Werken einer der größten Künstler der Marche, Carlo Crivelli. Die Linie nennt sich entsprechend auch Crivellino.

Gianmarco ist aber nicht nur in den bereits beschriebenen Bereichen für eine Überraschung gut. Wen wundert es, dass er noch eine ganz spezielle Kreation in petto hat, eine auf 100 Stück limitierte Ausführung: den Cavalieri Crociati, den Kreuzritter-Wein. Dabei handelt es sich um drei Flaschen, die sich schon von der Form her unterscheiden. Die exklusiven Etiketten wurden in Silberfolie getrieben. Eines stellt die 8 Sprachen der Kreuzritter dar, das nächste das Symbol der maltesischen Kreuzritter und das Dritte schließlich das eidgenössische Siegel internationaler Kreuzritter. Nicht nur die Flaschen sind wertvoll, der Inhalt ebenso. Eine Reifezeit von mindestens 1,5 Jahren in Fässern aus drei verschiedenen Eichenhölzern und dann in unbegrenzter weitere Reifung in Flaschen lässt schon erkennen, dass diese Weine ganz besonderen Anlässen vorbehalten sein sollten.
Wie ich bereits erwähnte, ist das Weingut Fontursia eng mit der marchigianischen Tradition und ihren Besonderheiten verknüpft und spiegelt dies in allen Facetten wider. So ist es auch mit den Kreuzrittern, die durch das Land zogen und deren Schiffe oft auch von Ancona ausliefen. Natürlich verlangen Weine dieser Güte auch eine entsprechende Verpackung. Eine handgefertigte Holzschatulle mit einem handgeschmiedeten Verschluss komplettiert das Ganze.

Eine, für unsere stressgeplagte Zeit, vollkommen neue Erfahrung erfährt der Besucher des Weinguts. Sicher wäre es sogar sinnvoller, hier schon bei der Anfahrt zu beginnen. Es gibt den Weg dorthin über Ripatransone, ein Städtchen, das auch Balkon der Marche genannt wird, weil man von hier aus einen 360-Grad-Panoramablick hat. Bei klarem Wetter blickt man über 150 Orte, vom Meer bis hin zu den Sibillinen. Es lohnt sich ein Verweilen, um sich der Schönheit dieses Fleckchen Erde bewusst zu werden. In diesem kleinen Städtchen ist übrigens die größte Konzentration an Museum von ganz Italien zu finden.

Le Marche, speziell das Piceno, eine Landschaft wie gemalt, eine Postkartenidylle, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Der Betrachter, der sich darauf einlässt, einmal seine Hetze zu vergessen, wird von einer unglaublichen Ruhe und Entspannung erfasst und spürt selbst, warum Le Marche auch von vielen Dichtern als Land der Harmonie beschrieben wurden.
Etwas weiter liegt dann das Weingut, umgeben von den Weinbergen, in ebenso Ruhe verströmender Position, als gäbe es kein heute und morgen. Gianmarco scheint für jeden Gast alle Zeit der Welt zu haben. Er führt herum, erklärt, freut sich über Fragen – eben eine offenbar längst vergangene Zeit. Ich konnte es selbst miterleben, wobei mir aber Freunde das bereits berichtet hatten. Es hat nichts mit einem Verkaufsgespräch zu tun, vielmehr scheint es so, als ob man sich auf ein Plauderstündchen trifft. Man setzt sich zu einem Brot mit Olivenöl beträufelt – aus eigener Herstellung, versteht sich fast von selbst, Ciauscolo, Schinken, Käse und genießt ein Gläschen Wein. Die Katzen liegen in der Sonne, Fumetto, das kleine Kätzchen, das den Namen zu Recht trägt, kleiner Rauch, wegen seiner grauen Farbe, bandelt mit Scroopy, dem Hund an und über allem tiefer Frieden.
Wer das Außergewöhnliche erleben möchte, was früher normal war, dem sei ein Besuch auf diesem Weingut angeraten. Ein Erlebnis, ohne ein Erlebnis, denn es zeigt uns, eine Welt, die die meisten schon nicht mehr kennen.